Bericht

 

Tagungsbericht:

Friedensbewegung und Zweiter Kalter Krieg:
Europäische und transatlantische Perspektiven

Workshop/Nachwuchskolloquium, 24.-26. März 2010, Berlin/Archiv Grünes Gedächtnis

Veranstalter: Referat Zeitgeschichte und Archiv Grünes Gedächtnis (Heinrich-Böll-Stiftung), German Historical Institute (GHI), Washington D.C., Universität Augsburg, Geschichte des europäisch-transatlantischen Kulturraums (GETK).

Organisatoren: Christoph Becker-Schaum (hbs), Philipp Gassert (GETK), Martin Klimke (GHI), Marianne Zepp (hbs)

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Die Friedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre steht zunehmend im Fokus der zeithistorischen Forschung, d.h., sie kann nun mit geschichtswissenschaftlichen Methoden, auf Basis bisher unveröffentlichter Quellen und im Abstand von annähernd dreißig Jahren auch im Dialog mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen untersucht werden. Der in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem internationalen Forschungsprojekt „Nuclear Crisis – Transatlantic Peace Politics, Rearmament, and the Second Cold War“ (www.nuclearcrisis.org) organisierte Workshop brachte NachwuchswissenschaftlerInnen zusammen, die sich mit der Friedensbewegung im Kontext des Wiederauflebens der atomaren Rüstung der 1970er und 1980er Jahren befassen. Dabei sei es eine der zentralen Fragen, so PHILIPP GASSERT (Augsburg) in seinen einleitenden Bemerkungen, warum überhaupt der Widerstand gegen eine politisch-strategisch-diplomatische Entscheidung so viele Menschen mobilisieren konnte. Eine Selbstverständlichkeit sei dies ja keineswegs gewesen, denn die Menschen leben damals wie heute „im Schatten der Atombombe“, ohne dass dies gegenwärtig massenhaften Protest provoziere.

Das Auftaktpanel beschäftigte sich mit dem christlichen Teil der Friedensbewegung. Unter dem Titel „Sicherheit neu denken? Konzepte von Sicherheit in der kirchlichen Friedensbewegung der Bundesrepublik (1977-1983)“ argumentierte JAN OLE WIECHMANN (Marburg), dass christliche Initiativen zu den bedeutsamsten Trägern der neuen Friedensbewegung zählten. Der Nato-Doppelbeschluss von 1979 habe für die Kritik christlicher Gruppen an der beschleunigten technischen Entwicklung von Nuklearwaffen eine katalysierende Wirkung gehabt, während Wissenschaft und Technik vermehrt als Quelle von Unsicherheit wahrgenommen wurden. Die Absage an „Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“ verbunden mit der Forderung nach einer „Demokratisierung von Sicherheitspolitik“ gehörten zu den Grundelementen der christlichen Friedensbewegung. In diesem Sinne agierten sie mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff, der auf gemeinsame Sicherheit in Fragen von Wirtschaft, Energie und Ökologie abzielte. Damit stehe die christliche Friedensbewegung paradigmatisch für den grundlegenden Wandel im gesellschaftlichen Sicherheitsgefühl der Bundesrepublik der 1970er und 80er Jahre.

ALEXANDER LEISTNER (Leipzig) wandte sich im zweiten Teil des Panels der Perspektive der DDR zu. In seinem Vortrag „Religiöse Friedensgruppen in der DDR unter dem Eindruck des Nato-Doppelbeschlusses: Bewegungsformation und Aktivistenidentität“ plädierte er für einer Erweiterung der Erforschung von Protestbewegungen um einen biographieanalytischen Ansatz. Die kirchliche Friedensbewegung sei charakterisiert gewesen durch DDR-spezifische „Positionierungssemantiken“, d.h. die Identität und Motivation ihrer Aktivisten war geprägt durch unterschiedlich motivierte Konflikte mit staatlichen Institutionen. Zum ersten ließen sich „Abgrenzungs- und Aussteigersemantiken“ erkennen, die einen Deutungsrahmen für die Jugendkultur der 1980er Jahre oder die anschwellende Ausreisebewegung bieten. Prägend waren zum zweiten „spezifisch christliche Verantwortlichkeitssemantiken“, in deren Friedensverständnis die Forderung nach Abrüstung immer auch mit einer Betonung der individuellen Verantwortlichkeit verbunden wurde. Drittens entwickelte sich seit den 1960er Jahren unter dem Eindruck der weltumspannenden sozialen wie innerkirchlichen Aufbruchsbewegungen eine dezidiert religiös begründete „Gesellschaftsgestaltungssemantik“, die ihren Ausdruck etwa in Jürgen Moltmanns auch in der DDR intensiv diskutiertem Buch „Theologie der Hoffnung“ oder Heino Falckes Aufruf, als Christen an einem „verbesserlichen Sozialismus“ mitzuarbeiten fand.

In einem öffentlichen Podiumsgespräch, moderiert von dem Berliner Journalisten und Mitherausgeber der Zeitschrift „Internationale Politik“  PAUL HOCKENOS, stellten sich am ersten Abend des Workshops zwei Zeitzeuginnen der Friedensbewegung den Fragen des Publikums: EVA QUISTORP, langjähriges Mitglied im Bundesvorstand der Grünen und Europaabgeordnete, Mitglied im Koordinierungsausschuss des Friedensbewegung und Aktivistin der Frauenbewegung und von European Nuclear Disarmament (END) und INES REICH-HILWEG, Friedensforscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berghof-Stiftung, Forschungsstelle für kommunale und partizipatorische Friedenspolitik Starnberg, sowie ehemalige Mitarbeiterin in der Landtagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen Rheinland-Pfalz. Eva Quistorp betonte zunächst die Bedeutung der Organisation „Frauen für Frieden“ und von END als wichtige Elemente der heterogenen Friedensbewegung. Ines Reich-Hilweg berichtete von ihren Erfahrungen mit lokalpolitischen Initiativen zur Vertrauensbildung und militärischen Entflechtung, in deren Kontext sich deutsche Kommunen zu atomwaffenfreien Zonen erklärten. Dies habe sich in der Folge als „pazifistischer Flächenbrand und effektive Protestform“ erwiesen. Beide Akteurinnen waren sich darin einig, dass die Friedensbewegung ein „Gegenexpertentum“ hervorbrachte und in nicht geringem Maße eine (Volks-)Bildungsbewegung war, und so zur Etablierung einer kritischen demokratischen Öffentlichkeit beigetragen habe. Sowohl Quistorp als auch Reich-Hilweg widersprachen der Einschätzung, dass die Friedensbewegung von einer puren Angst- und Apokalypse-Stimmung motiviert gewesen sei. Prägend sei vielmehr eine sich gegen die krisenhaften Zeitdiagnosen richtende Hoffungs- und Aufbruchsstimmung gewesen, ohne die die Breiten- und Tiefenwirkung der Bewegung nicht erklärbar sei und die in gewisser Weise versucht habe, den Optimismus der 1960er Jahre wiederzugewinnen.

Der zweite Workshop-Tag begann mit einer Sektion zu Rolle der Parteien (Leitung: TIM GEIGER, IfZ München-Berlin). JAN HANSEN (Berlin) ging in seinem Beitrag „Konsens in der Krise? Anmerkungen zu einer Kulturgeschichte des Nachrüstungsstreits in der SPD, 1979-1983“ der Frage  nach, wie der sozialdemokratische Meinungswandel von der Billigung des Doppelbeschlusses 1979 hin zur Ablehnung des Raketenstationierung 1983 erklärt werden könne. Hansen argumentierte, dass die Gründe dafür in der Krise und im Zerfall des sicherheitspolitischen Konsenses in der Partei gelegen hätten. Parallel dazu habe die Wahrnehmung der Supermächte einen dramatischen Wandel durchlaufen. Der Westen habe besonders bei jüngeren und alternativ sozialisierten Sozialdemokraten als normatives Leitbild für freie demokratische Gesellschaften an Überzeugungskraft verloren, während der Osten als dessen Kontrastfolie positiver bewertet wurde. Dies erkläre, warum große Teil der SPD zu Beginn der 1980er Jahre für einseitige Entspannungsbemühungen und Abrüstungsbereitschaft plädierten. Die Kontroverse innerhalb der SPD unter kulturgeschichtlichen Aspekten analysierend, betonte Hansen die kommunikativ konstruierte und symbolisch repräsentierte Dimension der Nachrüstungsdebatte.

SILKE MENDE (Tübingen) beleuchtete in ihrem Vortrag „Ökopax – Die Gründungsgrünen, der Zweite Kalte Krieg und die Friedensbewegung“ die Formierung der Grünen in der Bundesrepublik der 1970er und 80er Jahre. Laut Mende sei der grüne Krisendiskurs vor allem durch das Zusammendenken der beiden Überlebensthemen Umwelt und Frieden geprägt gewesen. Das zeitgenössische Stichwort „Ökopax“ signalisiere auch die Integration der beiden Begriffe in einen grün-alternativen Politikansatz, der dem kritisierten Modell der modernen Industriegesellschaft die Utopie einer ökologischen und gewaltfreien Gesellschaft gegenüberstellte. Das Thema Frieden ermöglichte der jungen Partei so eine programmatische Selbstvergewisserung, mit der sie sich im parteipolitischen Wettbewerb behaupten und  abgrenzen konnte. Die Ablehnung des Prinzips der nuklearen Abschreckung sowie die Infragestellung der ideellen und bündnispolitischen Westbindung der Bundesrepublik wertete Mende als Ausdruck einer Entfernung von Teilen des außen- und sicherheitspolitischen Konsenses der Nachkriegszeit.

Das dritte Panel wandte sich der öffentlichen Debatte und Populärkultur des Zweiten Kalten Krieges zu (Moderation: HANNO BALZ, Lüneburg). TIM WARNEKE (Heidelberg) skizzierte in seinem Vortrag über „Die öffentliche Debatte um den NATO-Doppelbeschluss in der BRD, 1979-1984“ Bedrohungswahrnehmungen und Rettungsperspektiven der Friedensbewegung. Er konzentrierte sich vor allem auf radikale Positionen, die nach der Devise „durch Schrecken zur Einsicht gelangen“ verfahren seien. Bei aller Bandbreite der historischen Analogien und Metaphern, die zur Charakterisierung der nuklearen Bedrohung herangezogen wurden, hätten Verweise auf den Zweiten Weltkrieg (Hiroshima) und den Holocaust als größtmöglich vorstellbares Vernichtungsszenario überwogen, was Warneke mit Beispielen aus der deutschen und aus der amerikanischen Diskussion untermauerte. Hier sei die deutsche Geschichte „als Auftrag“ verstanden worden.

PHILIPP BAUR (Augsburg) ging anschließend auf „Nukleare Weltuntergangsszenarien in der Populärkultur der 1970er und 80er Jahre“ ein. Er plädierte dafür, pop-kulturelle Manifestationen der nuklearen Bedrohung sowohl als Sprachrohr wie auch als Spiegel der Nachrüstungsdebatte zu betrachten. Charakteristisch für künstlerische Auseinandersetzungen sei die drastische Authentizität der geschilderten Utopien und die Agitationsrhetorik gewesen. Baur setzte sich für eine kritische Betrachtung von Werken wie Anton-Andreas Guhas „Ende – Tagebuch aus dem Dritten Weltkrieg“ ein und hinterfragte, ob diese dazu beitrugen, die Angst vor dem nuklearen Schlagabtausch zu fördern oder tatsächlich aufzuklären. Als weitere Desiderate der Forschung stellte Baur die transnationale sowie deutsch-deutsche Dimension einer nuklearen Populärkultur fest.

Im vierten Panel unter der Leitung von MARIANNE ZEPP (Heinrich-Böll-Stiftung) wurden zwei Teilprojekte aus dem Forschungsvorhaben „ Der KSZE-Prozess: Multilaterale Konferenzdiplomatie und ihre Folgen“ (Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Erlangen) vorgestellt. GUNTER DEHNERT (Erlangen) besprach am Beispiel Polens die „Selbstorganisation der Gesellschaft – Solidarnosc, Bürgerkomitees und der lange Weg zur Demokratie“. Bemerkenswert im Falle der Volksrepublik Polens sei gewesen, dass im Gegensatz zu anderen Warschauer-Pakt-Staaten die Gründung der beiden wichtigsten Oppositionsbewegungen, das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) sowie Solidarnosc, nicht unmittelbar auf die Helsinki-Schlussakte zurückzuführen sind. Trotzdem existiert mit der Schlussakte von Helsinki ein zitierfähiges, da von Polen ratifiziertes Dokument, das zusammen mit der Nachfolgekonferenz von Belgrad (1977) ermöglichte, die Idee allgemeiner Menschen- und Bürgerrechte in breiten Gesellschaftsschichten zu propagieren. Der KSZE-Prozess ermöglichte polnischen Oppositionellen einen international abgesicherten Spielraum, der nicht nur defensiv verteidigt, sondern offensiv eingefordert werden konnte. Dehnert hob gleichzeitig die internationalen Vernetzung hervor, die es der Oppositionsbewegung ermöglichten, strukturell wie auch programmatisch überdauern zu können.

Eine vergleichbare Ambivalenz konstatierte ANJA HANISCH (Berlin), die unter dem Titel „Kritik, Dissidenz und Opposition im Spiegel staatlicher Perzeption und Reaktion“ über die Folgen der KSZE für die DDR sprach. Einerseits entsprach die Teilnahme am KSZE-Prozess den außenpolitischen Zielen des SED-Regime, das sich als gleichberechtigter Teilnehmer internationaler Konferenzen und souveräner, weltweit anerkannter Staat präsentieren konnte. Die erhoffte innenpolitische Legitimierung trat jedoch zunehmend in Konkurrenz zur Ausreisebewegung, die sich explizit auf die KSZE-Schlussakte berufen konnte, da Ausreisewillige vom DDR-Staatsapparat die Einhaltung der internationalen Verträge forderten. Weil sich in der DDR aber im Unterschied zu anderen osteuropäischen Ländern keine Helsinki-Gruppen bildeten, seien die tatsächlichen Reaktionen der Bevölkerungen hinter den Befürchtungen des Regimes zurück geblieben. Indes habe der Ausbau des Repressionsapparates durch das Ministerium für Staatssicherheit keine Auswirkungen auf die Ausreisebewegung gehabt.

Panel 5 widmete sich ausgewählten Akteuren der Friedensbewegung (Leitung: SIMON TEUNE, WZB Berlin). HANNO BALZ (Lüneburg) diskutierte seine Forschungen über „Die Bremer Bundeswehrkrawalle 1980 – Neue Soziale-, Jugend- und Friedensbewegung zwischen Pazifismus und Militanz“ und zeigte am Beispiel der Proteste gegen das zentrale Rekrutengelöbnis im Bremer Weserstadion, bis zu welchem Grad sich die autonome Anti-Kriegs-Bewegung von der „bürgerlichen“ Friedensbewegung unterschied. Während für letztere der Nato-Doppelbeschluss sowie die Verschärfung des Ost-West-Gegensatz zum bestimmenden Motiv wurde, verschob sich der Fokus in der linksradikalen „Krieg gegen Krieg“-Bewegung auf einen Nord-Süd-Gegensatz. Vor allem die US-Politik  gegenüber der Revolution im Iran wurde innerhalb dieser Gruppierung als imperialistischer „Krieg ums Öl“ gewertet.

CLAUDIA KEMPER (Hamburg) verwies am Beispiel der deutschen Sektion der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) auf die Rolle von Ärzten in der anti-atomaren Friedensbewegung der 1980er Jahre. Innerhalb der IPPNW-Arbeit bildete der Protest gegen die im Kontext des Nato-Doppelbeschlusses anvisierten Zivilschutzpläne einen Schwerpunkt. Kritisiert wurde die befürchtete Militarisierung des Gesundheitswesens durch den Ausbau des Zivilschutzes. Durch ihre Kampagnen und Expertisen bildete die IPPNW eine Schnittstelle zwischen Medizin und Öffentlichkeit, wobei die nach eigenem Selbstverständnis überparteiliche, blockübergreifende und zugleich unpolitische Haltung der Organisation kaum aufrecht erhalten werden konnte.

In einem dritten Vortrag beleuchtete SASKIA RICHTER (Berlin) mit Petra Kelly (1947-1992) den „Aufstieg und Fall einer grünen Galionsfigur“. Im Gründungsprozess der Grünen  nahm Kelly bis 1983 eine öffentliche Führungsrolle ein. Gleichzeitig begründete der Einzug in den Bundestag und die Ausbildung von Strömungen nach Ansicht von Richter das Scheitern von Kelly. Ihr vielzitiertes Charisma begrenzte sich auf die Phase der Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss und wurde zum Teil der Proteststrategie im Kampf gegen die Ohnmacht im „Zeitalter der Apokalypsen“. In der Bundesrepublik wurde Kelly zu einer Projektionsfläche für Hoffnungen und Ängste einer verunsicherten Gesellschaft. Richter hob die Bedeutung der Transnationalität für Kellys Engagement hervor und betonte besonders die Sozialisation in den USA der 1960er Jahre sowie ihre weitreichenden internationalen Kontakte.

Der zweite Tag des Workshops wurde beschlossen durch einen öffentlichen Abendvortrag von ECKART CONZE (Marburg) über „Sicherheitsstreben und Modernitätsskepsis“. Conze argumentierte, dass die Debatte um den Nato-Doppelbeschluss und die Nachrüstung nicht nur eine scharfe Kontroverse über die Sicherheitspolitik der Bundesregierung bzw. der westlichen Verteidigungsallianz war, sondern dass sich in ihr auch ein politisch und gesellschaftlich polarisierter Streit über das Verhältnis von Sicherheit spiegelte. In der Kritik der Friedensbewegung an einem tradierten Verständnis von Sicherheit artikulierte sich stets auch ein massives Unbehagen an jener technisch-industriellen Modernität und dem ihm zugrunde liegenden Fortschrittsdenken, wie es sich seit dem späten 19. Jahrhundert entfaltet und vor allem in den Jahrzehnten nach 1945 breite Akzeptanz gefunden hatte. Mitte der 1970er Jahre veränderte sich der Sicherheitsdiskurs. Im Verständnis der Friedensbewegung stand Friede (ohne Atomwaffen) im grundlegenden Gegensatz zu einem Konzept von Sicherheit, das gegenseitige nukleare Abschreckung als friedenssichernd betrachtete.

Nach einer Führung durch die Bestände des Archivs Grünes Gedächtnis beschäftigte sich Panel 6 mit den transnationalen Aspekten der Friedensbewegung (Leitung: CHRISTOPH BECKER-SCHAUM, Leiter AGG und ROBERT CAMP, Archivar AGG). ENRICO BÖHM (Marburg) diskutierte die Etablierung der G7-Weltwirtschaftsgipfel als ein neues Format der internationalen Zusammenarbeit. Die „Gipfel der Sicherheit“ behandelten mit offener Agenda und in bewusst intimen Rahmen Fragen der Energieversorgung und der Wirtschaft wie auch des Verhältnisses von Industrie- und Entwicklungsländern. Diese Themen wurden von den Regierungen zunehmend unter dem Schlagwort Sicherheit behandelt und führten dazu, dass internationale Sicherheitspolitik nicht mehr als reine Verteidigungs- und Bündnispolitik verstanden wurde. Die dort geführten Debatten zur Verteidigungspolitik stellten sich den Argumenten der Nachrüstungsgegner, wobei sich die Gipfel als ein Teil der Antwort auf die Herausforderungen der Friedens- und Protestbewegungen verstanden und – in den Worten von Bundeskanzler Schmidt – dem „wahren Frieden“ dienten.

SEBASTIAN KALDEN (Marburg) skizzierte unter dem Titel „Proteste unbegrenzter Entrüstung“ die Transnationalisierung und Transnationalität in der christlichen Friedensbewegung in Westeuropa (1979-1985). Christliche Friedensgruppen in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien arbeiteten über die Grenzen hinweg zusammen und ermöglichten u.a. die Massendemonstration im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981. Der Transfer von Friedensideen geschah nicht nur durch den Austausch von Protestformen (z.B. Andachten, Friedensfestivals, Menschenketten), sondern auch durch die verwendeten Symbole. Als theologische Ideengeber fungierten oftmals niederländische Organisationen, was der christlichen Friedensbewegung den Vorwurf der „Hollanditis“ einbrachte, ein Vorwurf, der angesichts des „Wackelns“ der Regierung in Den Haag ursprünglich auf die staatliche niederländische Politik gemünzt war.

Das letzte Panel, moderiert von MARTIN KLIMKE (DHI Washington), behandelte Protest im zeitlichen Kontext der 1980er Jahre. BIRGIT METZGER (Freiburg) präsentierte Katastrophendiskurse und Gegenstrategien in der westdeutschen Debatte über das Waldsterben (1978-86) und zeigte, wie die zunehmenden Waldschäden, von der damaligen Wissenschaft auf sauren Regen zurückgeführt, den Nerv der deutschen Öffentlichkeit trafen. Metzger beschrieb die bis heute kontroverse wissenschaftliche Diskussion über tatsächliche Ursachen und Ausmaße des Waldsterbens. Laut Metzger bediente die Debatte einschlägige Motive, die sich nicht nur auf die Glorifizierung des Waldes durch die deutsche Romantik zurückführen lassen, sondern auch in hohem Maße auch auf Krankheitsbegriffe (Aids, Krebs) und Referenzen auf den Zweiten Weltkrieg zurückgriffen. Der Protest gegen das vermeintliche Waldsterben fiel im Gegensatz zur Anti-Nuklear-Bewegung kleiner aus, während technische Lösungsansätze entgegen verbreiteter modernitätsskeptischer Tendenzen durchaus positiv aufgegriffen wurden.

REINHILD KREIS (Augsburg) diskutierte unter dem Zitat „Eine Welt – ein Kampf – ein Feind“ die amerikakritischen Proteste in der Bundesrepublik der frühen 1980er Jahre. Nach den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg rückten fast ein Jahrzehnt später im Zuge der Nachrüstungsdebatte wieder amerikanische Ziele ins Zentrum der westdeutschen Protestbewegung: Zum einen von Seiten der Friedensbewegung, die die amerikanische (und bundesdeutsche) Rüstungspolitik kritisierte, zum anderen von Gruppen, die der USA Imperialismus vorwarfen. Kreis hob die globale Dimension des Protestes hervor und erklärte, dass anders als während der Studentenbewegung statt theoretischer Diskussionen die Kategorien Aktion und Handeln im Vordergrund standen. Neben dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg stach insbesondere der Vietnamkrieg als fester Bezugspunkt der Kritik hervor.

In ihrem Resümee fassten PHILIPP GASSERT (Augsburg) und MARTIN KLIMKE (DHI Washington) einige der diskutierten Ergebnisse und Perspektiven zusammen. Als ein relativ breiter Konsens sei zu beobachten, dass es „nicht allein um den Frieden“ gegangen sei, sondern dass die Kontroversen um die Nachrüstung als Teil einer gesellschaftlichen Selbstverständigung über die Umbrüche, Krisen und Transformationen der 1960er bis 1980er Jahre gesehen werden müssten. Charakteristisch für die Friedensbewegungen der 1970er und 1980er Jahre sei die von Anfang an relative breite gesellschaftliche Resonanz des Protests gewesen (im Unterschied zu „1968“), aber auch eine „Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Kritik“. Zu den Folgen zählten die Parlamentarisierung der neuen sozialen Bewegung durch Bundestagseinzug der Grünen, das Zerbrechen der sozial-liberalen Koalition sowie umgekehrt die integrative Wirkung der Nachrüstungsdebatte auf das christlich-liberale Lager, das sich in seine gemeinsame Regierungsverantwortung erst einarbeiten musste. Es stelle sich die Frage, ob von einer „Demokratisierung“ außenpolitischer Entscheidungsprozesse gesprochen werden könne und wie sich langfristig das Verständnis von „Macht und Krieg“ gewandelt habe, ob die Debatte zu einer Ausbildung einer „europäischen Identität“ ein Beitrag geleistet habe oder nicht und inwiefern Protest in den 1980er Jahren „bürgerlich“ geworden sei.

Zu den Desiderata der Forschung, so Klimke und Gassert weiter, zählten geschlechtsspezifische sowie transnationale Perspektivierungen, das mediale Umfeld der Debatten, die soziale Zusammensetzung der Protestgruppierungen, kulturelle Manifestationen sowie die Einbeziehung der osteuropäischen Sicht in die Geschichtsschreibung. Weitere aussichtsreiche Forschungsfragen lägen in (gruppen-)biografischen Ansätzen, der Perzeption der Friedensbewegung in der Politik, der Bedeutung der regionalen Herkunft (Stadt – Land) für die Akteure der Protestorganisationen sowie der längerfristigen Entwicklung bis in die Gegenwart. In der abschließenden Diskussion wiesen die TeilnehmerInnen noch auf eine Reihe von offenen Fragen hin, etwa die Bedeutung von Hiroshima und Nagasaki für den Diskurs der 1980er Jahre, die Bandbreite an performativen Praktiken und Protestformen, die Sprache der Protestbewegung im Vergleich zur Studentenbewegung der 1960er Jahre, das Verhältnis der Friedensbewegung zur entstehenden Erinnerungskultur der 80er Jahre sowie die Bedeutung des konservativen politischen Lagers.

Der Austausch über laufende Projekte und erste Zwischenergebnisse machte deutlich, dass das Thema nun in das Zentrum des zeithistorischen Fragens gerückt ist, nachdem noch vor ein oder zwei Jahren kaum historische Forschung zum Zweiten Kalten Krieg und zur Friedensbewegung sowie zur Gründungsgeschichte der Grünen existierte. Die zum Teil kontroversen, aber in der Sache fairen und auch dank der Gastfreundschaft der Heinrich-Böll-Stiftung in einer exzellenten Arbeitsarbeitsatmosphäre verlaufenden Debatten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops, machten deutlich, dass hier eines der dynamischsten Forschungsfelder der gegenwärtigen Zeitgeschichte liegt.

Philipp Baur (Augsburg)